Idee und Geschichte

Kein Märchen: Hessens Staatsminister Dr. Herbert Günther, damals Landrat des Kreises Kassel, besuchte 1973 Leningrad. Die russischen Gastgeber zeigten ihm in einer Volksbücherei ein ziemlich zerlesenes Buch - die “Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Der Landrat dachte nach seiner Rückkehr darüber nach, ob man denn nicht die weltweit bekannten Grimmschen Märchen, bis dahin in 140 Sprachen übersetzt, nicht als Werbung für Hessen, das Heimatland der Brüder Grimm, einsetzen könnte.

Die Hessische Landeszentrale für Fremdenverkehr und verschiedene hessische Landräte konnten für den Plan einer zunächst Hessischen Märchenstraße gewonnen werden. Zum Glück meldete Bremens Senatspräsident Hans Koschnick Rechte für seine “Bremer Stadtmusikanten“ an.

Nach zweijährigen Verhandlungen wurde dann am 11. April 1975 in Steinau an der Straße die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Märchenstraße gegründet. Zunächst traten neben der Freien Hansestadt Bremen und einigen Landkreisen 40 Städte und Gemeinden bei.

Es wurde ein fünf Punkte umfassende Konzeption entwickelt, um die Deutsche Märchenstraße thematisch zu profilieren und erfolgreich zu entwickeln:

1. Literarisch sollte die Deutsche Märchenstraße in erster Linie den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm gewidmet werden. Deshalb beschlossen die Gründer eine Streckenführung, die Lebensstationen der Brüder Grimm innerhalb der Bundesrepublik Deutschland verknüpft:

  • Hanau - ihre Geburtsstadt;
  • Steinau an der Straße- ihr “Jugendparadies“;
  • Marburg - Studienort der Brüder Grimm und Wiege der Deutschen Romantik;
  • Kassel - Mittelpunkt des Märchensammelns und Stadt ihrer ersten wissenschaftlichen Erfolge;
  • Göttingen - hier wirkten sie als Professoren und aufrechte Patrioten.

Soweit immer angängig, wurden auch die Wohnorte und Wirkungsstätten von Männern und Frauen einbezogen, die den Brüdern Grimm bei ihrer Arbeit hilfreich zur Seite standen, beispielsweise die “Knallhütte“ bei Kassel als Geburtsstätte der “Märchenfrau“ Dorothea Viehmann, Höxter wegen seiner Verbindung zum “Bökendorfer Kreis“ der Familie von Haxthausen, Fritzlar als Schulort der Bettina von Armin usw.

2. Obwohl sich Märchen nicht “lokalisieren“ lassen, wies ihnen das Volk in der Blütezeit der Romantik “Schauplätze“ zu. Ganz selbstverständlich musste eine Märchenstraße auch an diese Szenarien führen, zumindest in die Landschaften, aus denen nachgewiesenermaßen Grimmsche Märchen stammen. Eine reiche Fundgrube war das Kinzigtal, die Heimat der Brüder Grimm. “Rotkäppchen“ ist im Trachtenland der hessischen Schwalm zu Hause.“ Frau Holle“ schüttelte ihre Betten auf dem Hohen Meißner im Werraland. Die “Bremer Stadtmusikanten“ machten sich aus irgendeinem Landstrich an der Weser auf den langen Weg nach Bremen.

Einige der Grimm’schen Märchen tragen die Herkunftsbezeichnung „aus dem Leineland“, andere stammen aus dem „Paderbörnischen“ (Höxter). Marie Klar aus der Schwalm gehörte zu den Märchenerzählerinnen, noch mehr der wundersamen Geschichten hörten die Brüder Grimm von der in Niederzwehren bei Kassel beheimateten Dorothea Viehmann. Die Tochter des Bremer Bürgermeisters Smidt soll für die Brüder Grimm Märchen von der Küste aufgeschrieben haben.

3. Nach dem Ort des Geschehens und Vielfach auch nach der Zeit zwar fest bestimmt, steht die Sage neben dem Märchen. Die Brüder Grimm haben Hunderte von Sagen aus allen deutschen Landschaften gesammelt und als „Deutsche Sagen“ herausgebracht. So gab es in der Gründungsperiode keinen Streit, als verschiedene Bürgermeister auch die Einbeziehung von bekannteren Sagen, Schwänken und „wahrhaftigen Begebenheiten“ forderten.

4. „Märchenhaftigkeit“ erhält der „fabelhafte Reiseweg“ vom Main zum Meer durch die Vielzahl der fachwerkbunten Städtchen Hessens und des Weserberglands. Alsfeld, Homberg, die Dom- und Kaiserstadt Fritzlar und Hannoversch Münden, das romantische Bad Sooden-Allendorf und Nienburg an der Weser mögen als Beispiele genügen. Dazwischen stehen historische und architektonische Glanzlichter wie die Anmut des weserländischen Bades Bad Oeynhausen. Mit großen und kleinen Geschichten warten Buxtehude und Gudensberg mit seinem „Trommler“ auf. Großartiger Schlusspunkt der Märchenstraße sind dann das hanseatische Bremen und Bremerhaven mit den „Bremer Stadtmusikanten“, dem“ Klabautermann“ und dem „Auswandererhaus“.

5. In der touristischen Werbung für die Bundesrepublik Deutschland überwogen bis Anfang der 70er Jahre süddeutsche und rheinische Ziele. Die Deutsche Zentrale für Tourismus unterstützte daher die Gründung einer „Märchenstraße“ nach besten Kräften.

Einmal lag ihr daran, über eine attraktive touristische Straße, die weniger bekannten Städte in Hessen und an der Weser ins Blickfeld zu rücken. Zum andern sah man in der Märchenstraße eine vorteilhafte Ergänzung zur „Romantischen Straße“. Auch heute noch werden sehr viele ausländische Reisegruppen und Fernsehteams über beide Straßen geführt und lernen so den Süden und den Norden der Bundesrepublik kennen.